„Ich hatte eine Menge Geld und eine Menge Zeit mit 65. Das zusammen war das Tor zur Hölle für mich.“ Als Werner Hansch diesen Satz sagt, ist es sekundenlang ganz still im Solarlux-Forum. Dann unterbricht Moderator Christian Hüser die Stille: „Werner, es ist schön, dass du da bist und schön, dass du dich herausgekämpft hast.“ Hansch war einer der Kultreporter in der Fußball-Bundesliga: Mit seiner einzigartigen Stimme und Ausdruckskraft hat er über Jahrzehnte im Radio und im Fernsehen Fußballspiele kommentiert.

Der inzwischen 86-Jährige war auf Einladung des Paritätischen Kreisverbandes Osnabrück und des Verbunds Sozialer Dienste in Melle zu Gast. Im April 2023 hatte der Paritätische Wohlfahrtsverband e.V., Kreisverband Osnabrück, seine soziale Schuldnerberatung in Kooperation mit der Verbund Sozialer Dienste gGmbH gestartet. Außer der Hauptstelle in Melle an der Haferstraße 9 gibt es noch drei weitere Außenstellen in Georgsmarienhütte, Bad Iburg und Dissen. Alle Standorte haben einen behindertengerechten Zugang und sind für die Klientinnen und Klienten gut erreichbar. „Wir wollen mit diesem Abend auch darauf aufmerksam machen, wie wichtig es ist, dass es diese Schuldnerberatungsstellen gibt“, sagt Hüser, Kreisverbandsgeschäftsführer des Paritätischen Kreisverbandes Osnabrück.

130 Fälle in Melle

Knapp sechs Millionen deutsche Erwachsene seien überschuldet. Der Moderator wandte sich an Hans-Martin Oberschelp im Publikum. 130 Fälle seien alleine in Melle in 2024 bearbeitet worden. „Viele kommen zwar zur Erstberatung, aber danach hören wir nie wieder von ihnen. Etwa 30 Prozent kommen erst gar nicht zu dem vereinbarten Termin“, berichtete der Schuldnerberater des VSD.

Werner Hansch (links) und Christian Hüser
Werner Hansch (links) erzählte in Melle von seiner Spielsucht.

„Die meisten Betroffenen bundesweit sind jünger als 40 Jahre“, merkte Hüser an und lieferte einen der vielen Gründe: „Unangemessenes Konsumverhalten. Wir kommen schnell an Waren, zahlen in Raten und verlieren den Überblick.“ Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht die Unterstützung und Begleitung von ver- und überschuldeten sowie von verarmten und von Armut bedrohten Menschen als eine seiner bedeutenden wohlfahrtspflegerischen Aufgaben an. In die Beratungsstellen kommen Ratsuchende und deren Angehörige, die in eine Überschuldungssituation geraten sind. Durch die Erarbeitung einer Haushaltsanalyse mit den betroffenen Personen und unter Berücksichtigung der jeweiligen finanziellen Ressourcen werden gemeinsame Lösungen der Überschuldungssituation entwickelt.

Forderung nach sicherer Finanzierung

Werner Hansch war jedoch nicht der einzige Gast an diesem Abend. Der Grünen-Landtagsabgeordnete Volker Bajus diskutierte im ersten Teil ebenso mit wie die SPD-Politikerin Dr. Daniela de Ridder, die bis März noch Mitglied des Bundestages war. „Das Thema Privatschulden wird in Deutschland tabuisiert. Es ist wichtig, offen darüber zu reden. Ich nehme eine Menge mit für die politische Debatte in Hannover“, resümierte Bajus. Daniela De Ridder befand: „Es ist wichtig, dass es Instanzen gibt, die einen aus den Schulden holen.“ Und deshalb lautete Christian Hüsers Forderung in Richtung der Landes- und Bundespolitik: „Wir benötigen eine sichere Finanzierung über Jahre hinweg, damit wir Prävention und soziale Schuldnerberatung bieten können.“

Diskussionsrunde (von links): Volker Bajus, Dr. Daniela De Ridder, Werner Hansch und Christian Hüser.

Werner Hansch indes hatte ein ganz anderes Problem als das Konsumverhalten. „Es gibt kein Alter, in dem es nicht passieren kann. Ich war 65 Jahre alt, als mir im Jahr 2003 mitgeteilt wurde, dass mein Arbeitsvertrag nun beendet sei.“ Er habe sich wie entwurzelt gefühlt und hatte keine Aufgabe, die ihn erfüllt hätte. „Wenn der letzte Arbeitstag vor dem Ruhestand bevorsteht, sollte jeder die Frage klären, was ihm dann noch Sinn gibt“, mahnt der 86-Jährige.

Doch das Konto des damaligen Chefreporters bei „Ran“ sei gut gefüllt gewesen: „Ich hatte immer sehr gut verdient, auch durch einige Moderationen als Nebenbeschäftigung.“ Wie kam es also dazu, dass er in den folgenden zehn, zwölf Jahren rund 600.000 Euro verzockte?

Ein folgenschwerer Tag

Hansch hatte zuvor nie gewettet. Eines Tages war er in seiner Heimatstadt Recklinghausen, um sein Postfach zu leeren. Auf dem Weg zurück zum Auto sei er an einem Wettbüro vorbeigekommen. Drei Männer vor dem Laden hatten ihn erkannt und angesprochen. „Drinnen war es voll und laut. Wir haben erstmal über Fußball gesprochen“, erinnert er sich. Irgendwann habe jemand ihm angeboten, eine Wette zu platzieren. Hansch zückte einen 20-Euro-Schein – und verdoppelte sein Geld. Ein netter Tag sei das gewesen: Gespräche über Fußball, Leute hatten ihn wiedererkannt, und er ging mit mehr Geld nach Hause als er zuvor in der Tasche hatte.

14 Tage später habe er wieder das Postfach geleert. Diesmal war die Tür des Wettbüros allerdings zu, niemand stand draußen und sprach ihn an. „Es war meine Entscheidung, die Tür zu öffnen“, sagt er nachdenklich. Letztes Mal sei ja gar nicht so schlecht gewesen. Diesmal waren jedoch kaum Gäste da. Trotzdem blieb er, platzierte eine Wette – und verlor. Die Wette, aber in der Folge auch die Kontrolle über sein Leben und alles, was ihm lieb war.

Werner Hansch (links) blickte auf die schwierigste Zeit in seinem Leben zurück.

Die Spielsucht habe auch dazu geführt, dass er seine damalige Lebensgefährtin verlor: „Sie wollte das mit mir durchstehen. Aber ich habe gedacht: ,die spinnt doch, ich bin doch nicht krank. Bisher hatte ich nur Pech. Ab morgen werde ich alles zurückgewinnen, was ich verloren habe‘. Das habe ich wirklich geglaubt.“ Er habe auch viele Freunde verloren. „Was ich gemacht habe war unsäglich. Ich habe Freunde angepumpt und mit falschen Geschichten um Geld gebeten. Ich hatte durch meine Tätigkeit einen großen Bekanntenkreis und habe wirklich viele Leute angepumpt“, sagt er sichtlich berührt.

Promi Big Brother als Wendepunkt

Der Wendepunkt war die Teilnahme an dem TV-Format „Promi Big Brother“ im Jahr 2020. Hansch erinnert sich: „Es war der zweite Tag. Ich war im Bereich Märchenwald, dort gab es eine Toilette für zwölf Leute. Auf der anderen Seite war der Bereich Märchenschloss.“ Dann sei die Stimme ertönt: „Werner, komm in die Räuberhöhle“. In dem Sprechzimmer seien zwei Kameras auf ihn gerichtet gewesen, und die Stimme des „großen Bruders“ habe gefragt: „Sag mir, weshalb bist du hier?“ Hansch wird emotional, als er dem Publikum von diesem Augenblick berichtet. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was das für eine Herausforderung für mich war. Ich hatte noch überlegt, ob ich wieder eine Ausrede erfinden soll. Aber ich war am Ende, und auf einmal kam es aus mir raus. Ich habe die Hose runtergelassen bis an die Sprunggelenke.“ Niemand im Publikum lacht.

Hansch erhält für die Beichte viele Sympathien – auch hinterher per Post von den Zuschauerinnen und Zuschauern – und gewinnt am Ende sogar das Format. Mit der Gage und dem Gewinn habe er zumindest „einige Schlaglöcher“ abdecken können. „Nach Promi Big Brother habe ich eine Therapie bei einem Psychologen gemacht. Er hatte mir aber auch geraten, parallel zu der Therapie eine Selbsthilfegruppe zu besuchen. Denn da fällt der Faktor Scham weg. Alle dort haben dasselbe Problem“, so Hansch. Er sei lange am Thema Scham gescheitert. „Scham und Spielsucht sind im Wertekatalog ziemlich weit unten. Weil das so ist, versuchst du diese Krankheit so lange wie möglich unter dem Teppich zu halten. Jeder, der diese Krankheit überwinden will, muss die Scham besiegen.“ Er sei zwar geheilt, aber er wisse, dass die Rückfallquote hoch ist.

Hansch sagt: „Ich bin kein Doktor oder Psychologe. Ich habe nur meine eigene Geschichte. In keiner anderen Sucht kann man so schnell in den Ruin fallen wie in der Spielsucht.“ Mit seiner Geschichte möchte er andere vor diesem Leidensweg bewahren. Daraus ergebe sich ein Auftrag: Prävention. „Heute habe ich die Aufgabe gefunden, die ich 2003 im Alter von 65 nicht hatte.“

Jetzt hat er nur noch eine Menge Zeit. Aber – zum Glück – ist er nicht still.