Ehemalige umA geben Erfahrungen weiter
Hashem kam als Jugendlicher ganz alleine nach Deutschland – und ist jetzt ein „großer Bruder“ für viele junge Afghanen.
Als am 18. April zwei Busse mit 49 unbegleiteten minderjährigen Ausländern vor dem Haus Sonnenwinkel in Bad Essen hielten, stand auch der jetzt 21-jährige Hashem schon vor der Tür, um die Kinder und Jugendlichen zu empfangen. Die Mädchen und Jungen aus Afghanistan, Syrien, Irak und Eritrea hatten zuvor monatelang in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln ausgeharrt.
Hashem kennt das Camp Moria, aber er musste 2015 eine Woche außerhalb des Lagers im Wald unter freiem Himmel schlafen. Afghanistan, Iran und die Türkei hatte er da schon längst hinter sich gelassen. Über Siegen und Bramsche kam er letztlich in die Clearingstelle des Verbunds Sozialer Dienste (VSD). Ein separater Gebäudetrakt der Familienferienstätte Haus Sonnenwinkel war damals genutzt worden, um mit den Jugendlichen die Bleibeperspektiven in Deutschland klären zu können. Eine zweite Clearingstelle in Wehrendorf kam noch hinzu, später wurden beide Einrichtungen in Ellerbeck (Gemeinde Bissendorf) unter einem Dach zusammengelegt.
In eine Clearingstelle kommen diese 49 jungen Flüchtlingskinder nicht. Nach zwei Wochen Quarantäne auf dem Essenerberg – aufgrund der Corona-Pandemie müssen Personen, die aus dem Ausland nach Deutschland einreisen 14 Tage in Isolation verbringen – haben sie das Haus Sonnenwinkel inzwischen verlassen. Manche sind in Pflegefamilien gekommen, andere zu Verwandten oder in Jugendhilfeeinrichtungen. Hashem hat zu den Afghanen noch immer Kontakt: „Wir haben eine WhatsApp-Gruppe. Ich schreibe und telefoniere täglich mit ihnen. Ich habe ihnen gesagt, dass sie sich immer bei mir melden können.“
Hashem hat diese Kinder verstanden. Ihre Sprache, aber auch ihre Ängste, Sorgen und Leiden. Er ist wie viele von ihnen in der Nacht durch das Gebirge im Iran gelaufen, hat sich vor dem Militär versteckt und saß mit 40 Personen in einem kleinen Boot nach Griechenland. „Der Motor ist oft ausgefallen. Frauen und Kinder haben laut geweint“, erinnert er sich. 16 Jahre war er selber erst alt. Und damit trotzdem noch älter als die meisten Jungen, die jetzt nach Deutschland geflogen worden sind. „Ich weiß, wie schwer diese Zeit für die Kinder ist“, sagt der Afghane. „Sie vermissen ihre Eltern, verstehen kein Wort oder fürchten sich in der Dunkelheit.
Im Haus Sonnenwinkel hat Hashem das pädagogische Team jetzt als Sprachmittler unterstützt. Wie wichtig er und drei weitere ehemalige unbegleitete minderjährige Ausländer in dieser Zeit waren, beschreibt Teamleiter Ümit Turunc: „Ohne sie hätten wir ein paar Probleme mehr gehabt. Hashem und die anderen haben nicht nur übersetzt, sondern sich selbst und ihre Erfahrungen mit eingebracht. Für die meisten waren sie wie große Brüder. Sie waren sehr wichtig für unsere Arbeit. Alle sind auch immer sehr flexibel und teilweise noch nach ihrer normalen Arbeit hier gewesen.“
Hashem arbeitet bei Homann Feinkost in Lintorf im Schichtdienst. Für ihn war es selbstverständlich, dass er vor oder nach seiner Schicht mit dem Fahrrad zum Haus Sonnenwinkel hochfährt. Vor allem bei Arztbesuchen kamen ihm und den anderen ehemaligen „umAs“ eine Schlüsselrolle zu. „Die Kinder haben mir schnell vertraut. Zwei von den Afghanen kommen sogar aus der gleichen Stadt wie ich. Ich möchte versuchen, ihnen die Integration zu erleichtern. Sie fragen mich oft nach meinen Erfahrungen“, sagt der 21-Jährige.
Erfahrungen hat Hashem schon einige gesammelt. Die Mitarbeiter des Verbunds Sozialer Dienste haben ihm verschiedene Maßnahmen und Praktika vermittelt. Nach einem Integrationskurs im Jahr 2016 hat er sechs Monate lang das Projekt „Durchstarter“ durchlaufen. Praktika als Altenpfleger, Maler, Elektriker oder Erzieher gehörten zusätzlich zur Schule zu dem Programm. Eine Ausbildung als Koch hat er nach knapp sieben Monaten abgebrochen, „das wäre auf Dauer nichts für mich gewesen“. In seiner Heimat ging er fünf Jahre lang zur Schule, dann musste er für die Familie Geld als Schneider verdienen. Wäre das nicht ein Beruf für die Zukunft?
Hashem winkt ab. Ein Ausbildungsplatz ist sein großes Ziel, am liebsten in einem sozialen Berufszweig, in dem er mit Menschen Kontakt hat. Doch seine Zukunft ist ungewiss. Im Juli entscheidet das Gericht, ob seinem Asylantrag zugestimmt wird. Vielleicht kann er den Kindern eines Tages auch in dieser Hinsicht mit Rat und Tat zur Seite stehen.
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